Städte erfinden sich neu. Dieser Trend wird zudem eine der wichtigsten urbanen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden, sind sich Stadtentwickler sicher. Und Städte müssen sich auch neu erfinden – denn das schon seit Längerem vorherrschende „Einerlei“ von Flagship-Store an Flagship-Store, einer überwiegenden Geschäftsnutzung und geringerem Anteil von Wohnraum führt in den Innenstädten zu langweiligen, vor allem abends und nachts völlig ausgestorbenen Quartieren.
Was in den 1960ern und bis in die 1990er noch praktisch erschien – die Ansammlung von möglichst vielen Geschäften & Bürobauten in Innenstadtgebieten konzentriert auf einer Fläche – hat sich heute überholt. Eine Vielfalt von Geschäften gibt es kaum noch. Wegen der teuren Mieten sind in den Innenstädten zumeist nur noch große Ketten präsent – das Individuelle fehlt inzwischen in fast jedem Herz einer deutschen Stadt.
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Geheimrezept: bunte Mischung
Doch es geht auch anders. Das Geheimrezept sind multifunktionale Stadtquartiere, in denen vielfältigere Nutzungen geschaffen werden: Gastronomie, Gewerbe, Freizeitangebote und Wohnen werden hier bunt gemischt. In München hat sich jüngst eine Initiative von Architekten, Stadtplanern und Kreativen zusammengetan, um eben ein solches Projekt im Herzen der Innenstadt auf die Beine zu stellen. Ihre Organisation heißt SynCity und soll demnächst als Genossenschaft firmieren. Ihr Slogan: München – elektrisierend, wandelbar und begehrenswert sollst du sein – und das für alle!“
„Nachdem jahrzehntelang Profitgier in der Münchner Stadtentwicklung vorherrschte, steigt beim Bürger die Wut“, sagt der kreative Kopf der Organisation, Stadtplaner und Architekt Hajo Bahner und ergänzt: „Aber es gibt Lichtblicke: Bei den Verantwortlichen wächst die Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann. Und auch ein vermehrtes Bedürfnis der Investoren nach ethischem Engagement ist spürbar …“
Mit dem Auslaufen der Erbpacht des Sattlerplatz-Geländes, auf dem bis jetzt noch das „Hirmer“-Parkhaus steht, will SynCity hier eine Planung für ein wahrhaft bürgernahes Projekt starten – einen Ort, der von allen für alle gemacht wurde und eine Mischung aus Wohnen und ungewöhnlichem Gewerbe wie beispielsweise einen asiatisch inspirierten Hutong-Markt umsetzt.
Die Zukunft hat schon begonnen – in Mannheim
Das im September 2016 eröffnete „Q 6 Q 7“ in Mannheim ist ein Beispiel für den Ansatz der neuen, multifunktionalen Stadt: Auf 153.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche entwickelte das Mannheimer Architekturbüro blocher partners ein neues Quartier als offenen Stadtbaustein, der sich in das gewachsene Umfeld einfügt und eine Einkaufsgalerie, Gastronomie, Freizeitangebote, Büro, Hotel und Wohnen miteinander verbindet.
Die Investoren, Diringer & Scheidel GmbH & Co. Beteiligungs KG, hatten vor allem eines im Blick: Das Q 6 Q 7 soll eine Antwort auf die urbanen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sein und durch seine nachhaltige Entwicklung die zentrale 1B-Lage in der Mannheimer Innenstadt zur 1A-Lage in der Metropolregion Rhein-Neckar aufwerten.
blocher partners entwickelten dazu einen urbanen Kristallisationskern, der auch nach Ladenschluss noch belebt ist: Mit Geschäften und Restaurants in der Erdgeschosszone, darüber Büros und großzügige Wohnungen. Zwei differenziert gestaltete, aber optisch verbundene Baukörper umschließen einen neuen, zentralen Platz – den Münzplatz. Überspannt wird er von einer gläsernen Brücke im ersten Obergeschoss. Interessant ist, dass es keinen Haupteingang zum Quartier gibt: Die Besucher erreichen die Geschäfte und Büros über verschiedene Wege und Zugänge, Passagen und Verbindungen.
Pulsierendes Leben und grünes Wohnen
Neben der Stadtgalerie mit 66 Marken von Fashion bis Food als besonderem Anziehungspunkt, und seinem mäandrierenden Netz aus Passagen zum Flanieren ergänzen im Q 7 ein Ärzte- und Gesundheitszentrum sowie ein 4-Sterne-Superior-Radisson Blu Hotel mit 13 Longstay Apartments, sechs Juniorsuiten, drei Suiten und einer Präsidentensuite das quirlige Leben.
Ebenfalls im Hotel: Ein Restaurant- und Cafégeschoss samt Skylounge und großzügigem Seminarbereich.
Im Q 6 ist Wohnen angesagt: 78 Wohnungen gruppieren sich um einen großzügigen, rund 2.000 Quadratmeter großen, grünen Wohnhof. Eine Oase, die man sonst nur am Stadtrand findet: Weite und Erholung, Gemeinschaft und Ruhe, durchbrochen von Einschnitten, die im Sommer Hitzestau durch Querlüftung verhindern. Leben, Arbeiten und Erholung gehen hier auf Tuchfühlung und das innerstädtische Wohnen wird wieder zu einer lebenswerten Alternative.
Lebendige Architektur
Die Zukunft der Stadt spiegelt sich auch im architektonischen Konzept des Q6 Q 7 wider: Lebendige statt langweiliger, monolithischer Fassaden, Vor und Rücksprünge, konträre Farben und interessante Details bei den Fenstern machen das Ensemble spannend. Die Details der Fassaden geben wiederum Aufschluss darüber, was sich jeweils dahinter befindet – von der einladenden Glasfassade der Erdgeschosszone für die vom Handel geprägten Bereiche bis zur klassischen Lochfassade als schützende Wand der Wohnungen und Hotelzimmer.
Im Block Q7 wird mit dem in Gebäudetiefe und -struktur abgesetzten Hotelbaukörper ein imaginäres Quadrat ergänzt. Die beiden Quadrate wirken wie zweieiige Zwillinge und scheinen fast miteinander zu tanzen: Mit ausgestreckten Armen in Form der gläsernen filigranen Brücke halten sie sich zusammen. Eine gläserne seilgetragene Membran schwebt wie der Hauch eines Daches darüber. Ihre prägnante, über die Gebäudeflucht der Fressgasse hinausragende Erscheinung markiert weit sichtbar den für die Mannheimer Quadratestruktur städtebaulich so einzigartigen Platzraum.
Video: Stadtquartier Q6/Q7 in Mannheim eröffnet
Charaktervolle Details
Die Zimmerstruktur des Hotels wird durch den Wechsel von auskragenden Fensterkuben mit traditionellen Lochfenstern akzentuiert. Ein zweigeschossig auskragender Glaskubus markiert charaktervoll das Entree des Hotels. Die dahinterliegende Lobby wird geprägt von einem dreigeschossigen Luftraum und einer eindrucksvollen Lichtinstallation der Mannheimer Künstlerin Christina Stihler. Ein ähnlich gestalteter Glaskubus markiert den Zugang ins Gesundheitszentrum.
Mit jedem Schritt Neues entdecken
Die Besucher werden in das Stadtquartier Q 6 Q 7 förmlich hineingesogen, in einen geschützten Stadtraum aus Restaurants und Cafés und mit jedem Schritt verändert sich die Perspektive: Über den Besuchern schwebt die gläserne Verbindungsbrücke, eine filigrane Konstruktion aus Glas, die als Wetterschutz für Flaneure darunter und Lärmschutz für Hotelgäste und Wohnungsinhaber darüber dient. Die hufeisenförmig gebogene Passage lockt weiterzugehen und Neues zu entdecken. Insgesamt bewahren und kultivieren die Architekten mit ihrem Ensemble die innerstädtische Kleinteiligkeit, eine Überlagerung von Wegen und unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten bietet dem Passanten Kurzweile: Hier hat die Zukunft der Stadt begonnen.
Die ideale Stadt der Zukunft
Q 6 Q 7 ist ein äußerst gelungenes innovatives Instrument zur Revitalisierung der Städte und das Beispiel zeigt, wie es geht, Arbeit, Wohnen und Erholung in einem Punkt zu verdichten. Und zwar so, wie Städte ursprünglich organisiert waren: Marketender, geschäftiges Treiben und Leben im Erdgeschoss, darüber Wohnen – als Garant dafür, dass rund um die Uhr Leben im Quartier ist.
Das Frankfurter Zukunftsinstitut zeichnet ein ähnliches Bild von der idealen Stadt der Zukunft: Während noch in den 70er Jahren die Vororte und das Leben auf dem Land als Wohnideal galten, geht der Trend wieder zu städtischem Wohnen. Die Herausforderung bestehe hier nun in der Optimierung – dem Update – bestehender Strukturen. Die infrastrukturelle, ökologische und ökonomische Entwicklung sei DIE globale Zukunftsaufgabe und der Faktor „Lebensqualität“ müsse zum globalen Ziel werden: Er entscheidet über die politische, ökonomische und soziale Stabilität künftiger Stadtlandschaften.
Green Cities – Pilze im Keller und Bienen auf dem Dach
Dabei darf laut Zukunftsinstitut nie das Verständnis von Landschaft verlorengehen – grüne Flächen – eben wie es blocher partners im Q 6 Q 7 mit dem grünen Wohnhof verwirklicht haben, werden zu wichtigen Oasen mitten in der Stadt, die auch zu einem besseren Stadtklima beitragen. Eine „Ecopolis“ mit grünen Fassaden reguliert ihre Temperatur und verbessert ihre Luftqualität von selbst und wirkt dem Aufheizeffekt durch viel Asphalt entgegen. Kopenhagen ist dafür ein Beispiel: Ausgezeichnet als die grüne Hauptstadt Europas 2014, hat sie durch die Verschmelzung von Landschaft und Stadt höchste Lebensqualität für ihre Bewohner geschaffen und ist dadurch auch als Standort für Unternehmen und die Creative Class hochbegehrt.
Ebenso schon vielerorts verbreitet sind eigene Gardening-Projekte: Auf Flachdächern, Brachen und städtischen Restflächen wird gesät, gejätet und geerntet. Zwar sind große Urban Farms -grüne hochtechnisierte Hochhäuser in den Städten, die Lebensmittel produzieren, noch Zukunftsmusik, aber kleine Initiativen machen schon mal vor, wie es gehen könnte: Speisepilzfarmen in den Kellern von Wohnhäusern, Imkereien auf dem Dach oder gar Fischfarmen in Containern.
Video: FMA Mannheim Q6 Q7 Date Night
Konzept Sharing City
Ein weiteres interessantes Urbanitäts-Modell ist die „Sharing City“: Weil in den Städten mehr und mehr eine Generation von Bürgern lebt, die mit dem Netz aufgewachsen ist, beeinflusst dies auch das Zusammenleben in der Stadt. Das auch im Web verbreitete Teilen, Tauschen und Partizipieren wird die Entwicklungsprozesse der Stadt hin zu Car-Sharing-Modellen, Co-Working Spaces, Urban-Garden-Communitys führen, die auch dazu beitragen werden, die Stadtgemeinschaft zu stärken.
Der Bürger wird auch zunehmend selbst zu einem aktiven Stadtgestalter – so wie es auch die eingangs genannte Münchner Initiative SynCity vorhat: Crowdfunding-Modelle übertragen sich auf die Entwicklung im städtischen Raum und werden über die Gemeinschaft realisiert. Vor dem Hintergrund der schwindenden Finanzierungsmöglichkeiten der Städte ein äußerst positiver Ausblick.
Bildnachweis: Quelle: blocher partners © HG Esch Photography